Der Tonische Labyrinth-Reflex (TLR)
– Einfluss auf Haltung, Gleichgewicht und Orientierung
Der TLR entsteht ab der zwölften Schwangerschaftswoche. Durch ihn verändern sich Muskeltonus und Körperhaltung in Abhängigkeit von der Kopfbewegung nach vorn oder hinten. Der TLR muss dabei aufgeteilt werden in den „TLR vorwärts“ und den „TLR rückwärts“.
So verursacht die Beugung des Kopfes nach vorn die fötale Beugehaltung. Der Rücken ist rund, Arme und Beine sind gebeugt. Beim „TLR rückwärts“ führt eine Neigung des Kopfes in den Nacken zu einer Streckung des gesamten Körpers. Der TLR bietet dem Kind die Möglichkeit mit der Schwerkraft umzugehen und trainiert gleichzeitig Muskulatur und Körperwahrnehmung.
Bleiben Restreaktionen des TLR erhalten, so lösen sie nicht nur einen veränderten Muskeltonus durch die Kopfbewegung aus, sondern sie stören auch die Funktion des Gleichgewichtssystems. Dieses arbeitet eng mit unseren anderen Sinnen zusammen. So hat es zum Beispiel Einfluss auf unsere Hörverarbeitung, unsere Augenbewegung und seine Informationen sind eine wichtige Grundlage für das Kleinhirn, das Bewegungen koordiniert und den Muskeltonus reguliert und damit für geschmeidige, gut koordinierte Bewegungen sorgt.
Ist also das Gleichgewichtssystem zum Beispiel durch den TLR gestört, so können in allen diesen Bereichen Schwierigkeiten auftreten. Arbeitet es nicht korrekt, so erlangen wir kein stabiles Gleichgewicht, das heißt wir sind ständig in Bewegung um das Gleichgewicht zu halten. Dies ist bei vielen Kindern die Ursache für ihre motorische Unruhe. Erst wenn wir unsere Balance mühelos in Ruhe halten können, können wir aufmerksam sein.
Da jede Kopfbewegung die gesamte Körperhaltung beeinflusst, empfinden die Kinder Stehen als anstrengend, denn sie müssen immer wieder dem Reflex entgegenwirken und eine stabile Stellung suchen. Dominieren Restreaktionen des „TLR vorwärts“, so ist die Haltung eher schlaff, mit rundem Rücken und schwachem Muskeltonus. Die Kinder stabilisieren sich oft, indem sie sich z.B. an der Hose festhalten oder die Arme auf dem Rücken überkreuzen oder sie setzen sich bei jeder Gelegenheit auf den Boden oder lehnen sich an.
Dominiert dagegen der „TLR rückwärts“, so bewegt sich das Kind eher steif, die Beine beugen sich kaum, eventuell geht es auf Zehenspitzen. Auch Sport ist anstrengend und meist unbeliebt, da durch den Reflex keine gut koordinierte Bewegung entstehen kann. Soll ein Kind mit „TLR rückwärts“ z.B. einen Purzelbaum machen, so kommt es bei der Streckung der Beine beim Abstoßen zu einer Streckung des ganzen Körpers und damit des Nackens. Es hilft in dieser Situation wenig, wenn man dem Kind erklärt, dass es den Kopf eingerollt lassen soll, denn die Streckung erfolgt unbewusst, ausgelöst durch den Reflex.
Bei einem Kind, bei dem Reste des TLR noch aktiv sind, ändert jede Kopfbewegung nach vorn oder hinten den Muskeltonus im gesamten Körper. Dadurch fehlt ein fester räumlicher Bezugspunkt, was Probleme mit der Einschätzung von Raum, Entfernung, Tiefe und Geschwindigkeit nach sich ziehen kann. Fehlt der innere Fixpunkt, so kann auch kein sicheres Bild der Umwelt erstellt werden. Dies hat Auswirkungen auf die gesamte Orientierungsfähigkeit. Die Zeitwahrnehmung und Ordnungsfähigkeit können gestört sein.
Das Kind hat eventuell Probleme mit dem Erkennen von logischen Reihen und Mustern, mit dem Sprachaufbau und Buchstabenfolgen. Durch das dadurch entstehende Chaos sind die Kinder oft langsamer als andere Kinder. Diesem inneren Chaos entspricht oft auch ihre Handlung. Sie sind vergesslich und unordentlich, verlegen vieles. Wie sich der Verlust des inneren Fixpunktes auswirkt, kann bei Astronauten beobachtet werden, denn es kann vorkommen, dass sie plötzlich in Spiegelschrift schreiben und Buchstaben verdrehen.